von Ulrich Siewers
Wer mit offenen Augen durch die Wacholderheiden der Osteifel wandert, dem begegnet eine Artenvielfalt am Wegesrand, wie sie in weiten Teilen Mitteleuropas kaum noch vorhanden ist. Statt artenarmer Grasäcker findet der Naturfreund im Projektgebiet natürliche und artenreiche Mager- und Waldwiesen. Unzählige Blühpflanzen bieten von Mai bis Oktober unterschiedlichsten Tieren Nahrung und Lebensraum.
Eine Ursache dafür sind die flachgründigen, oft steinigen Silikatböden der Osteifel, die für eine intensive Landwirtschaft kaum in Frage kommen. Der Einsatz von künstlichen Düngemitteln, Pestiziden und vor allem von Insektiziden ist deshalb unrentabel. Die Natur regelt weitgehend die Abläufe ohne Einwirkung der Menschen. Hinzu kommt ein im Winter oft raues, das ganze Jahr über meist wechselhaftes Klima mit vergleichsweise geringen Niederschlägen. Dadurch verringert sich der natürliche Stickstoffeintrag aus der Luft und begünstigt das Wachstum von bestimmten Pflanzen, die stickstoffarme Böden für ihre Entwicklung bevorzugen (z.B. Wacholder, Callunaheide). Waberner Heide bei Weibern (VG Brohltal, Kreis Ahrweiler) © Ulrich Siewers
Weitere Voraussetzung für die Entwicklung artenreicher Mager- und Waldwiesenlandschaften ist die jährliche Mahd oder die extensive Beweidung durch geeignete Tierrassen, um einer Verbuschung entgegen zu wirken. Zusätzlich sind schattenwerfende Sträucher und Bäume entfernt worden (Freistellungsmaßnahmen), um lichtliebende Pflanzen zu fördern.
Für den Naturfreund jeden Alters gibt es am Wegesrand jede Menge zu entdecken. Man muss nicht unbedingt Biologie studiert haben, um Blumen, Insekten, Vögel oder Wildtiere zu bestimmen. Mit einem handlichen Naturführer lässt sich z.B. durch Aussehen, Farbe, Stimme oder Duft fast Alles ergründen. Hilfreich sind zusätzliche Aufnahmen, beispielsweise mit einer Digitalkamera, die man später mit den Abbildungen auf einschlägigen Internetseiten (s. Linkempfehlungen im Text und am Ende dieses Beitrages) oder in Büchern aus der örtlichen Bibliothek vergleichen kann. So wird das Erlebte gleich doppelt spannend und prägt sich ins Gedächtnis ein. Auch eine geführte Wanderung durch die Heidelandschaft gewährt Interessierten Einblicke in die Geheimnisse der Natur.
Es lohnt sich wirklich, genau hinzuschauen. Manches versteckt sich gerne vor unseren Augen. Besonders Insekten sind in der Lage, sich geradezu perfekt ihrer Umgebung anzupassen, um so ihren Feinden zu entgehen. Perfekte Tarnung im Grasdickicht: Roesels Beißschrecke (Metrioptera roeseli, weibl.),
Überleben und die Art erhalten
In der Natur zählt nur ein Gesetz: Überleben und die Art erhalten. Wer sich vor seinen Feinden nicht verstecken kann, versucht es beispielsweise mit Abschreckung: Zahlreiche Schmetterlinge tragen Augen auf ihren bunten Flügeln, um Furcht einzuflößen und um größer zu erscheinen. Ihre Raupen enthalten häufig Giftstoffe und warnen deshalb mit grellen Farben. Andere verschießen giftige Haarstacheln, wenn man ihnen zu nahe kommt. Zahlreiche Käfer, darunter auch der bekannte Marienkäfer, scheiden übelriechende oder giftige Sekrete aus, um nicht gefressen zu werden. Der Tatzenblattkäfer (Timarcha tenebricosa) bringt sich vor dem nahenden Regenschauer in Sicherheit
Ein besonders auffälliges Verhalten zeigt der zu den Schwarzkäfern gehörende Tatzenblattkäfer. Wenn man versucht ihn zu ergreifen, sondert er einen großen Tropfen rötlicher Flüssigkeit ab, was ihm im Französischen den Namen „crache-sang“ (Blutspucker) einbrachte. Andere setzen auf „Chemiewaffen“ wie z.B. die Rote Waldameise. Sie besprüht den Angreifer mit ätzender Säure.
Manche Insekten betreiben eine geradezu perfekte Maskerade: Sie nehmen einfach Form und Aussehen gefährlicher anderer Insekten an. Es gibt deshalb harmlose Schwebinsekten oder auch Falter, die im Hornissengewand gekleidet daher kommen.
Ganz besonders wirksam können sich Eidechsen (und Blindschleichen) durch einen Trick der Natur vor Feinden schützen: Neben ihrer ausgezeichneten Tarnfärbung sind sie zusätzlich in der Lage, bei Gefahr einen Teil ihres Schwanzes an einer vorgebildeten Stelle abzustoßen. So wird der Gegner durch den weiterhin zuckenden Schwanz abgelenkt und das Reptil kann entkommen. Das Hinterteil wächst übrigens später wieder nach.
Andere wollen eher auffallen. Blütenpflanzen locken ganz gezielt bestimmte Insekten durch leuchtende Farben, besondere Formen oder intensive Duftstoffe an, damit ihre Pollen auf andere Blüten der gleichen Art transportiert werden. Zusammen mit dem Nektar sind diese wiederum die Nahrungsgrundlage für die zahllosen krabbelnden und summenden Besucher. Die goldgelben Blütenkörbchen des Rainfarns (Tanacetum vulgare) locken allerlei Insekten wie diese Gelbhaarige Wiesenschwebfliege (Epistrophe melanostoma) am Fränkels Weg bei Acht magisch an (VG Vordereifel, Kreis Mayen-Koblenz) © Ulrich Siewers
Auch wenn in den einzelnen Heidegebieten bedingt durch notwendige Pflegemaßnahmen (Mulchen und Plaggen) die Artenvielfalt noch nicht im gewünschten Maße hergestellt wurde, finden wir entlang der Verbindungswege im Projektgebiet zahlreiche „Artenkorridore“ in Form von Feldrainen und Waldsäumen. Um sie als natürlichen Lebensraum zu erhalten, ist ebenfalls eine jährliche Mahd oder ein Mulchschnitt unabdingbarDie Blütenpracht am Wegesrand wie hier am Rand der Waberner Heide bei Weibern
Mediterrane Düfte und heilende Kräfte
Wer kennt nicht die würzigen Düfte und Aromen der italienischen Küche? Schon der Gedanke an eine knusprige Pizza beim Italiener hat etwas Verführerisches an sich. Das Geheimnis dieses Aromas stammt von einem Gewürzkraut, dem Oregano. Was viele nicht wissen ist die Tatsache, dass diese Pflanze auch bei uns an zahlreichen Wegrainen und Straßenrändern zuhause ist. Der deutsche Name Echter Dost oder auch Wilder Majoran sorgt kaum für eine gedankliche Verbindung mit toskanischen Gefilden. Der wissenschaftliche Name Origanum vulgare klingt schon eher mediterran. Bereits Hippokrates beschreibt die heilenden Eigenschaften dieser zu den Lippenblütengewächsen zählenden Pflanze. Auch der seltene Schwalbenschwanz (Papilio machaon) wird vom Duft der Oregano-Blüten angelockt
Ein weiteres, nicht weniger wohlduftendes Küchenkräutlein findet man an zahlreichen sonnigen Stellen in unseren Heidegebieten. Es ist der Quendel, auch Feldthymian (Thymus serpyllum). Er steht in Aroma und wohltuender Wirkung seinen Verwandten aus dem Mittelmeerraum kaum nach und gilt als wichtige Zutat für Fleisch- und Fischgerichte und raffinierte Saucen (Herbes de Provence). Neben dem Wohlgeschmack sorgen die Inhaltsstoffe der Thymianpflanze für die bessere Verdauung von Fetten. Die blau-violetten Blütenkissen ziehen Hummeln und Bienen geradezu magisch an. Er ist deshalb auch für unsere Imker als Bienenweide von Bedeutung. Durch Zerreiben der Blätter wird der würzige Duft freigesetzt (was auch für den Oregano gilt).Feldthymian am Mohrsberg bei Kirchwald (VG Vordereifel, Kreis Mayen-Koblenz) © Ulrich Siewers
Zwischen Mai und September blüht überall am Wegesrand die Wilde Malve (Malva sylvestris). Sie zählt zu den ältesten bekannten Nutzpflanzen und wurde schon in der Antike als Gemüse- und Heilpflanze angebaut. Ihre Blütenfarbe variiert zwischen blassrosa und violettrot. Sie zählt nicht nur zu unseren schönsten Wildblumen sondern aus den getrockneten Blüten der Pflanze lässt sich der bei Jung und Alt beliebte Malventee herstellen. Die Wilde Malve blüht zwischen Mai und September überall im Projektgebiet © Ulrich Siewers
Mit Vorsicht zu genießen
Es gibt auch einige Pflanzen im Bereich der Wacholderheiden, die zwar schön anzuschauen sind, aber deren Inhaltsstoffe sehr problematisch sein können.
Zur Zeit breitet sich in ganz Mitteleuropa das Jakobs-Greiskraut, auch Jakobs-Kreuzkraut (Senecio jacobaea L.) aus, das vor allem für Weidetiere tödlich giftige Substanzen enthält. Schafe und Pferde meiden deshalb die frischen Triebe wegen ihres bitteren Geschmacks. Im getrockneten Zustand verlieren sich die Bitterstoffe. Gelangen Teile der Pflanze allerdings ins Heu oder ins Silofutter, ist eine Vergiftung kaum noch zu behandeln. Jungpflanzen des Jakobs-Greiskrauts am Kindgen / Blütenpracht am Wolfsberg bei Arft (VG Vordereifel, Kreis Mayen-Koblenz) © Ulrich Siewers
Die Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae) bilden eine Pflanzenfamilie mit etwa 240 Gattungen und 6000 Arten. Mindestens eine davon, die Zypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias) ist auch in den Wacholderheiden der Osteifel heimisch. Sie enthält einen ätzenden und hautreizenden Milchsaft, der der Pflanze als natürlicher Wund- und Fraßschutz dient. Dieser Saft kann an den Schleimhäuten (Augen, Nase, Mund) Entzündungen hervorrufen, die stärkste Schmerzen verursachen. Vor allem Kleinkinder sollten nicht damit in Berührung kommenZypressen-Wolfsmilch (Euphorbia cyparissias) in der Waberner Heide bei Weibern (VG Brohltal, Kreis Ahrweiler) © Ulrich Siewers
Eine Besonderheit zeigen Zypressen-Wolfsmilchpflanzen auf, die auf dem Schafberg vorkommen. Ihre Blüten sind orangerot gefärbt – eine Laune der Natur, die auf ärmlichen Böden vorkommen kann.Orangerot blühende Zypressen-Wolfsmilch auf dem Schafberg bei Virneburg (VG Vordereifel, Kreis Mayen-Koblenz) © Ulrich Siewers
Die Zypressenwolfsmilch ist Haupt-Futterpflanze der Raupen des Wolfsmilchschwärmers (Hyles euphorbiae). Das Gift der Wolfsmilch schadet den Faltern im Gegensatz zu Wirbeltieren nicht, sondern schützt im Gegenteil alle Entwicklungsstadien, indem es auf sie übergeht (Fraßschutz).
Unübersehbar in Größe und Form ist die „Königin“ unter den Blumen in der Heide, der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea). Dabei variiert die Farbe seiner Blütenglocken von weiß bis purpurrot. Die stattliche, bis zu 180 cm hohe Pflanze enthält in allen Teilen ein hochwirksames Gift. Bereits der Verzehr von zwei Blättern kann zu einer tödlichen Vergiftung führen. Dies gilt nicht für Honigbienen, die von Juni bis August die Blüten besuchen. Auch der von ihnen produzierte Honig enthält kein Gift. Unterschiedlich gefärbter Roter Fingerhut auf dem Schafberg bei Virneburg (VG Vordereifel, Kreis Mayen-Koblenz) © Ulrich Siewers
Bitte nicht pflücken
Sie ist schön, giftig und seit Jahren in unserer Heidelandschaft verschwunden. Die Rede ist von Arnika (Arnica montana). Sie wieder anzusiedeln ist eines der Ziele des LIFE-Projektes. Arnika wird ca. 40 cm bis 50 cm hoch. Auf einem behaartem Stängel sitzt eine große, leuchtend gold- bis orangegelbe Blüte. Als Wundheilpflanze wird Arnika seit dem Mittelalter verwendet. Viel weiter zurück liegt ihre Bedeutung als Zauberpflanze. In der Eifel zählte Arnika auch zu den Blumen, die in den Strauß der Kräuterweihe an Maria Himmelfahrt, dem 15. August, gehörte (Krautwischtag). Damit zählt Arnika zu den Marienpflanzen. Möglicherweise war sie schon in vorchristlicher (germanischer) Zeit der Muttergöttin Freyja zugeordnet. Das Foto der hier abgebildeten Arnikapflanzen machte der Vater des Autors vor etwa 35 Jahren, vermutlich am Büschberg bei Arft oder in der Waberner Heide bei Weibern. Arnika soll sich in Zukunft wieder in den Wacholderheiden der Osteifel vermehren © Ulrich Siewers
Nicht nur geschützte Pflanzen sollten dort wachsen und gedeihen, wo sie sind. Das Pflücken der Blütenpflanzen sorgt nur für eine kurze und einseitige Freude an ihrer Schönheit. Noch weniger Freude dürften Pflanzenliebhaber am Ausgraben der Heidepflanzen haben. Ohne ihre gewohnte Umgebung, ohne ganz spezifische Bodenverhältnisse und komplizierte biologische Zusammenhänge z.B. das Vorhandensein bestimmter Bodenpilze, ist ein Überleben im heimischen Garten kaum möglich.
Wer die Natur wirklich liebt, gibt ihr eine Chance. Ein Sträußchen Blumen oder Kräuter schadet kaum. Dabei sollte es im Sinne des Naturschutzes aber auch bleiben, damit auch künftige Generationen die Artenvielfalt der Wacholderheiden genießen können.