Der Russische Bär

Unsere Schmetterlinge ? Folge 1

Der Russische Bär fliegt

Rotgelber Weichkäfer beim Liebesleben (Foto: Ulrich Siewers)

von Ulrich Siewers

Die Waldränder und Feldraine der Osteifel bieten von Mai – Juli für jeden Naturliebhaber regelrechte Premierenaufführungen. Nicht nur die zahlreichen Pflanzengemeinschaften beeindrucken durch ihre Artenvielfalt, sondern auch die Lebendigkeit rund um die leuchtende Blütenpracht und die duftenden Wildgräser. Da wird geliebt, geheiratet und geboren. Obwohl den überall lauernden Tod vor Augen wird getanzt, gesungen und gezecht was das Zeug hält. Es ist die Zeit der Gaukler und Springer, der unerschrockenen Troubadoure und Raubritter. Die schrägsten Typen sind dabei, meistens mit sechs Beinen und riesigen Augen und langen Antennen am Kopf.

Nein, wir befinden uns nicht bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele sondern im Mikrokosmos der schillernden Insektenwelt, die sich alljährlich zum Sommer-Stelldichein am Wegrand trifft.

Heute berichte ich vom Russischen Bären, der aus seiner Metamorphose erwachte und sich anschickte, die Welt zu entdecken.

Die Raupe kurz vor der Überwinterung (Bild:Walter Schön)

Nach der stürmischen Hochzeit vor Jahresfrist hatte sich der Vater gleich davon gemacht. Auch vom Verbleib der Mutter ist nichts bekannt. Sie hatte die befruchteten Eier einfach in einem flachen Paket an ein Himbeerblatt geheftet und den Nachwuchs sich selbst überlassen. Im frühen Herbst gab es für den heranwachsenden Russischen Bären kein Halten mehr. Statt der engen Eihülle hatte er sich mittlerweile ein stachliges, hoch elastisches Streifenhemd übergezogen und einfach angefangen, nachts seine Umgebung aufzufressen. Er wuchs und fraß und wuchs weiter und fraß noch mehr, bis er im Spätherbst so fett und vollgefressen war, dass er sich einfach zusammenrollte und den ganzen Winter schlafend verbrachte.

Kaum erreichten ihn die ersten warmen Strahlen der Frühlingssonne, machte der Russische Bär sich wieder an das große Fressen. Am liebsten verspeiste er Brombeer- und Haselnussblätter. Im Juni beschloss er dann ganz plötzlich, für eine Weile zu pausieren. Er baute sich ein Zelt aus Spinnseide am Boden und legte sich in einem Schlafsack auf seine zarte Bärenhaut, nachdem er den Reißverschluss komplett dicht gemacht hatte.

Einen Monat später wachte der Russische Bär mittags plötzlich auf. Irgendetwas hatte sich an ihm verändert. Was war das nur? Er machte den Reißverschluss wieder auf und schlüpfte aus seinem Schlafsack.

Die Flügel des frisch entpuppten Falters sind noch zu weich zum Fliegen (Bild: Ulrich Siewers)

Wo war denn nur das Stachelhemd geblieben? Stattdessen umgab ihn ein edles Gewand aus Samt. Noch immer wackelig auf den sechs Beinen kroch der Russische Bär zu einem sonnigen Plätzchen. Er räkelte sich und breitete seine vorderen Schwingen aus, die ihm in den letzten Wochen gewachsen waren. Noch fühlte er sich schwach mit seinen vom Schlaf noch immer trägen Gliedern. Auch der elegante schwarzblaue Samtmantel mit den schicken weißgelben Streifen war noch ungebügelt. Er streckte schon mal vorsichtig die leuchtend orangerot mit schwarzen Tupfen gekleideten Hinterflügel aus, fuhr die noch ein wenig verbogenen Antennenfühler hoch und wartete ab, was sich noch tun würde.
Gegen Abend verspürte er plötzlich den unbändigen Wunsch, seine Flügel zu bewegen. Und, er konnte es selbst kaum glauben, es funktionierte. Dem betörenden Duft der Blüten folgend hob der Russische Bär ab in die Lüfte und entschwand auf und ab hüpfend in der untergehenden Abendsonne.

Ich habe eine ganze Weile nach ihm gesucht. An seinem Bild habe ich ihn schließlich im Internet wieder erkannt. Es war gar nicht so leicht, ihn zu finden, denn er versteckt sich hinter allerlei Alias-Namen. Mal nennt er sich Spanische Flagge, dann wieder Russische Fahne oder sogar Schönbär. Selbst einen lateinischen Namen hatte er sich zugelegt: Callimorpha quadripunctata. Ich erfuhr auch, dass er auf einer gewissen Roten Liste steht. Ob er sich deshalb in England nicht „Bär“ nennt sondern „Jersey Tiger Moth“ ? Kann sein, schließlich sind Tiger ja auch bedrohte Arten.

Den Russischen Bären findet man häufig auf den Blütendolden des Wasserdost (Bild: Walter Schön)

Hoffentlich kommt er mal wieder vorbei geflogen, unser Russischer Bär aus der Eifel.